Die Europäer auf dem Kontinent wollen nicht wie Terroristen behandelt werden
Wien (OTS) - Es ist nicht überraschend, dass ein Geheimdienst Wanzen
anbringt, andere ausspioniert und ausspäht. Das gehört zu seinem
Aufgabenbereich. Erstaunlich ist aber das Ausmaß der Überwachung
durch die US-Geheim- und die britischen Abhördienste. Es zeugt von
einem beträchtlichen Maß an Misstrauen, wenn der US-Geheimdienst die
Daten von rund einer halben Milliarde
Kommunikationsverbindungen aus Deutschland speichert. Auch Millionen
deutscher Mails werden auf dem Weg von und nach Übersee von den
Briten abgefangen. Wer Freunde und Verbündete derart überwacht, hat
kein Vertrauen zu ihnen.
Dass die Europäer von Vertrauensbruch sprechen, ist noch eine milde
Form der Kritik. Es ist vielmehr ein Rechtsbruch. Die massenhafte
Speicherung genau dieser Informationen ohne vorherigen Verdacht, die
sogenannte Vorratsdatenspeicherung, hatte das deutsche
Bundesverfassungsgericht 2010 verboten.
Zur Begründung gab das
Gericht an, dass das Gesetz zur anlasslosen Speicherung keine
konkreten Maßnahmen zur Datensicherheit vorsieht und zudem die Hürden
für staatliche Zugriffe auf die Daten zu niedrig sind. Die jüngsten
Enthüllungen aus den USA und Großbritannien bestätigen genau das.
Die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung - die Speicherung von
Verbindungsdaten, nicht der Inhalte - erfolgte in vielen EU-Ländern
nach heftigen Debatten, in Österreich erst im April 2012. Vermutlich
kommende Woche will der Europäische Gerichtshof auf Antrag der
Höchstgerichte in Österreich und Irland darüber verhandeln. Für
aktuelle Anlässe ist nun gesorgt.
Es geht um die Achtung der Grundrechte der Europäischen Union. In
Artikel 7 heißt es: "Jede Person hat das Recht auf die Achtung ihrer
Kommunikation."
In Artikel 8: "Jede Person hat das Recht auf Schutz
der sie betreffenden personenbezogenen Daten." In vielen Ländern gibt
es ein Brief- und Fernmeldegeheimnis, das auch im Internetzeitalter
gilt.
Diese Rechte anerkennen die Amerikaner nicht und gestehen Datenschutz
nur ihren eigenen Staatsbürgern zu. Das ist eine skandalöse
Rechtsauffassung. Dass aber just enge Verbündete in Europa derart
stark im Visier der Amerikaner und Briten stehen, ist überraschend.
Die ausweichende Reaktion von US-Außenminister John Kerry, es sei
"nicht unüblich", dass Staaten Informationen über andere Länder
sammeln, und während einer Auslandsreise könne er sich nicht näher
äußern, zeigt den Erklärungsnotstand. Nicht nur in Berlin werden
Erinnerungen an die Spionage während des Kalten Kriegs wach.
In Berlin sind viele besonders verärgert, weil Präsident Barack Obama
vor eineinhalb Wochen vor dem Brandenburger Tor betont hat, wie schön
es sei, "unter Freunden" zu sein.
In Berlin habe die Offenheit und
Toleranz gewonnen, die Freiheit gesiegt. Wenn es um den
Antiterrorkampf geht, dann sind Amerikaner und Briten bereit, ihre
Freiheit zu opfern. Die Aufregung über die Lausch- und Spähangriffe
halten sich in den USA und Großbritannien in Grenzen, weil ihre
Bürger es gewöhnt sind, überwacht zu werden - in Großbritannien gibt
es vier Millionen Kameras im öffentlichen Raum.
Es ist ein Grundsatzkonflikt: Die Kontinentaleuropäer wollen es sich
nicht gefallen lassen, unter Generalverdacht zu stehen und wie
potenzielle Terroristen behandelt zu werden.
Quelle: APA-OTS, Aussender: "Der Standard"
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