20. Juni 2013

Wiener Zeitung: Leitartikel von Walter Hämmerle: "Ein neuer, härterer Sound"

Wien (OTS) - Der Wahlkampf bekommt einen neuen Sound. Und dieser wird deutlich härter. Spät, aber doch, und für die Regierungsparteien zum ungünstigsten Zeitpunkt, erschüttern hundert Tage vor der Nationalratswahl schlechte Nachrichten vom Arbeitsmarkt die Botschaft, wonach das Land weitgehend unbehelligt durch die Krise segelt. 

Objektiv mag das sogar richtig sein, doch subjektiv ist dieser Eindruck am Kippen. In dieser Situation steigt der Druck auf jede Regierung, dagegenzuhalten. Und damit die Gefahr, aufgrund kurzfristiger Interessen langfristig mehr Schaden als Nutzen anzurichten. Die feste Überzeugung, die Wähler mit teuren Geschenken milde stimmen zu können, muss unauslöschlich in die politische DNA von Regierenden eingestanzt sein. Sogar Parteien, die in normalen Zeiten das Gegenteil predigen, werfen dann die eigenen Prinzipien über Bord. Die Summe der Wahlversprechen aller Parteien beläuft sich schon jetzt, nach einer Berechnung der APA, auf über 20 Milliarden Euro. Und das Beste - und Teuerste - kommt bekanntlich immer erst zum Schluss. 


Konjunkturankurbelung durch Geldausgeben ist für Politiker die leichtestmögliche Übung. Allein der mittlerweile erhebliche Druck von europäischer Seite zu finanzpolitischer Solidität setzt dem effektive Grenzen. Der politische Preis, der hierfür zu entrichten ist, besteht in der teilweisen Entmündigung nationaler Demokratie. Es geht offensichtlich nicht anders. Und die EU wird dadurch eher auch nicht populärer, wenn Politiker behaupten, sie würden ja wollen, nur die böse EU-Kommission erlaube es nicht. Es ist zu hoffen, dass SPÖ und ÖVP in den letzten hundert Tagen kühlen Kopf bewahren und nicht in hektische Alibi-Aktionen verfallen, deren Wirkung rasch verpufft. 

Die Art und Weise, wie die Entscheidung zum Golan-Abzug vorbereitet, getroffen und nun vollzogen wird, lässt allerdings so manche Zweifel aufkommen. Natürlich nehmen jetzt, hundert Tage vor dem Wahltag, die Begehrlichkeiten, nimmt der Druck auf die Regierung von allen Seiten zu. Diesen zu widerstehen, gehört zu ihrer Verantwortung. Wenn SPÖ und ÖVP dazu nicht in der Lage sind, ist es vielleicht besser, die Legislaturperiode noch weiter zu verlängern. Dann hätten die Wähler zwar noch weniger mitzureden, dafür bliebe mehr Zeit, die Wahlkampfschulden abzustottern.

Quelle APA-OTS, Aussender: "Wiener Zeitung"

1 Kommentar:

  1. Mag. Brita Pilshofer21. Juni 2013 um 18:59

    Wer aktiv an einem Wahlkampf teilnimmt, erlebt immer wieder das Phänomen, dass Menschen gerne etwas geschenkt bekommen, und wenn es nur ist, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen.
    Man sieht daran wie gerne Menschen ernst genommen werden und auch umworben werden wollen- vielleicht hat das mit einer immer mehr entsolidarisierten Gesellschaft zu tun?
    Es ist verständlich dass Parteien dieses Bedürfnis im Wahlkampf bedienen, besser wäre allerdings eine ernsthaft geführte Diskussion über Demokratie und Verteilungsgerechtigkeit ausserhalb der Wahlzeiten.

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