Obamas Rede vor dem Brandenburger Tor war groß inszeniert und inhaltlich schal - Ausgabe vom 20.6.2013
Wien (OTS) - Wer immer auf einen dieser speziellen "Berlin-Momente"
gewartet hatte, der wurde diesmal enttäuscht: Barack Obamas erste
Rede als amtierender US-Präsident
in der deutschen Hauptstadt war gewohnt routiniert und gut
inszeniert, inhaltlich jedoch blieb sie eher dürftig. Schrieben sich
Vorgänger wie John F. Kennedy ("Ich bin ein Berliner!") oder Ronald
Reagan ("Herr Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer nieder!") mit
griffigen Kernsätzen, die den Geist der Zeit trafen, in das
kollektive Gedächtnis von Generationen ein, wird Obamas Rede morgen
schon weitgehend vergessen sein.
Das einzige wesentlich Neue darin war ein Angebot an die Russen, das
Atomwaffenarsenal der beiden Staaten vom Niveau des 2010
beschlossenen Start-Vertrags noch einmal um ein Drittel zu
reduzieren.
Damit bleibt Obama konsistent auf seiner Abrüstungslinie,
die er als Präsidentschaftskandidat in Berlin oder bei seinem ersten
großen Europa-Auftritt als Präsident im Jahr 2009 auf der Prager Burg
bereits formuliert hat.
Das ist löblich, klingt gleichzeitig aber doch wie ein Echo aus lang
vergangenen Zeiten des Kalten Krieges. Deswegen wies ihn Moskau -
dessen Kooperation Obama bei der Reduktion taktischer und
strategischer Atomarsenale braucht - umgehend und nicht ohne gewissen
Unterton darauf hin, dass die nukleare Bedrohung heute nicht nur von
den beiden Supermächten ausgeht, sondern auch von Staaten wie
Nordkorea, Indien, Pakistan und einem möglicherweise auf nukleare
Fähigkeiten hinarbeitenden Iran.
Das, und nicht das amerikanisch-russische Atomarsenal, ist die
aktuelle politische Herausforderung, genauso wie der Konflikt in
Syrien oder der Skandal um das flächendeckende Überwachen von
Telefon- und Internetverkehr durch den US-Geheimdienst NSA. Zu beiden
nahm Obama zwar Stellung, überzeugen konnte er mit seinen Argumenten
aber nicht - auch deswegen, weil ihm das europäische und auch das
deutsche Publikum neuerdings nicht mehr uneingeschränkt zugeneigt
ist. Aus dem Messias, der trockenen Fußes über alle Wasser zu wandeln
vermochte, ist auch in der alten Welt ein gewöhnlicher Politiker
geworden, der immer öfter im sauren Regen der öffentlichen Meinung
steht.
Das geschieht ironischerweise genau zu einem Zeitpunkt, zu dem sich
der amerikanische Präsident nach vier Jahren angestrengten Spähens in
den Pazifik wieder den alten Partnern zuwenden will. Ohne Europa,
ohne Wirtschaftswachstum und politische Lastenverteilung im
atlantischen Raum ist für die Amerikaner der Wettstreit mit China
viel schwerer zu gewinnen.
Für eine solche Partnerschaft bedürfte es allerdings mehr als der
üblichen Inszenierung, denn diese kann die Entfremdung in und mit
Europa nicht wettmachen.
Für einen neuen "Geist von Berlin", für
einen neuen Berliner Moment ist das Brandenburger Tor als bloße
Kulisse nicht ausreichend. Dafür müssen Europäer und Amerikaner sich
tatsächlich noch einmal gegenseitig vergewissern, dass sie gemeinsame
Werte teilen und verteidigen wollen.
Eine gute Gelegenheit dafür wäre, die amerikanische Chuzpe (und
nebenbei die Heuchelei der europäischen Nachrichtendienste) in Sachen
Prism-Spionagesoftware zu diskutieren. Denn genau in diesem Fall muss
man wieder auf den gemeinsamen Begriff von Freiheit kommen, für den
Berlin in der Vergangenheit stand.
Quelle: APA-OTS, Aussender: "Der Standard"
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