26. Februar 2013

Zu Multikulti und Pluralismus

Der folgende Artikel, dessen Thema aufgrund gegenwärtiger politischer Entwicklungen außerordentliche Brisanz hat und der einige wichtige Diskussionen über Gesellschaftsordnungen behandelt, befasst sich mit dem Begriff des Multikulturalismus und mit dessen Verallgemeinerung, dem Pluralismus. Dieser bezeichnet das Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichen Lebensstilen und Wertevorstellungen auf gemeinsamen Raum, jener bezieht sich auf die Verschiedenheit des Kulturkreises von Mitgliedern einer Gesellschaft. Mit dem Hinweis, dass deshalb alle Aussagen zum Pluralismus auch als Aussagen zum Multikulturalismus gelten, werde ich mich auf die Diskussion des ersteren beschränken.


Es sei zuallererst festgestellt, dass wir in einer pluralistischen Gesellschaft leben. In Österreich leben Menschen mit unterschiedlichsten Vorstellungen von einem rechten Leben, mit verschiedensten Ansichten über Politik, Religion und Philosophie, mit individuellen Geschmäckern und Vorlieben für Kleidung, Speisen, Musik, Literatur und Kunst, mit mehr oder weniger engem Bezug zu Tradition und Bräuchen. Es sind Leute aus aller Herren Länder, von denen keine zwei dieselben privaten und beruflichen Ambitionen haben. Darüber hinaus lebt jeder in einem anderen sozialen Gefüge, das er nach seinen Maßstäben definiert. Es gibt daher schon längst kein einheitliches Familienkonzept mehr.
Nachdem wir also den Pluralismus als gegenwärtige und alltägliche Tatsache einsehen, steht die Frage im Raum, ob eine solche Gesellschaftsordnung wünschenswert ist. Von Konservativen gibt es zahlreiche Einwände, die vor allem in der Sorge um traditionell österreichische Kultur und Werte gründen.
Diese werden demnach durch alternative Vorstöße in den Hintergrund gerückt oder gar zerstört. Nach ihrem Bild befindet sich eine pluralistische Gesellschaft in einem Kampf, der durch Isolierung und durch Zurückdrängen des Unerwünschten beendet werden kann. Mit dem Verweis auf alle Verbrechen, die zwischen Menschen verschiedener sozialer oder kultureller Herkunft geschehen, wird der Pluralismus, obgleich als derzeitige Realität akzeptiert, als gescheiterte Illusion und als Wunschtraum verworfen.

Stattdessen soll es gemäß der Ansicht mancher Leute einzelne autonome Staaten geben, zwischen denen möglichst wenig Migration stattfindet und innerhalb deren Grenzen jeder aufrechte Bürger dem jeweiligen nationalen Kulturkreis angehört, die jeweiligen nationalen Werte akzeptiert, die jeweiligen Traditionen und Bräuche lebt und zu ihrer Förderung beiträgt.
Viele Konservative neigen in ihrer Betrachtung der Welt zur drastischen Vereinfachung von äußerst komplizierten Sachverhalten. Dies zeigt sich auch an oben beschriebenem Bestreben, Individualität auf Stereotypen zu reduzieren. Auch in einem Österreich, in dem keine Zuwanderung stattfindet, würde es niemals die nationalen Werte geben, niemals die nationale Weltanschauung, niemals das nationale Familienkonzept, selbst wenn es auf irgendeinem Papier geschrieben steht. Es würde weder die nationale Musik geben noch die nationale Literatur, weder die nationale Küche noch die nationale Sprache. Nämlich zu glauben, dass sich Leben, Fühlen, Denken und Schaffen von mehreren Millionen Menschen semantisch gehaltvoll unter einem Begriff zusammenfassen lässt, das ist die eigentliche Illusion.
Zu denken, dass es irgendeine andere relevante gemeinsame Komponente gibt als die, dass diese Menschen alle auf ein und demselben Raum leben, den man durch künstliche Grenzen abgesteckt hat, das ist der eigentliche Wunschtraum. Die Gesellschaft, die sich manch Konservativer wünscht, in der er sich geborgen fühlt, die ihm Halt gibt, weil jedes Mitglied in ihr genau so ist, denkt, fühlt und handelt, wie er dies möchte; es gibt sie nicht, es hat sie nie gegeben und es wird sie niemals geben, und man kann nur froh darüber sein. Wissenschaftlicher und kultureller Fortschritt kann nur dort stattfinden, wo er zugelassen wird, und eine Gesellschaft, in der jedes Individuum festgelegte und als altbewährt deklarierte Werte vertritt und nach vorgesetztem Bilde lebt, ist wohl ein denkbar schlechter Nährboden für großartige, innovative Geister und kreative Künstler.

Für denjenigen, der den Pluralismus in Folge nicht nur als gegenwärtige, sondern als unbedingte und notwendige, ja auch als wünschenswerte Tatsache menschlichen Zusammenlebens eingesehen hat, stellt sich nun die Frage nach Grundregeln für ein zufriedenes Miteinander. In diesem Zusammenhang fällt meist das Stichwort Toleranz, die man anderen Wertevorstellungen und Lebensstilen entgegenbringen sollte. Und es ist einerseits eine traurige Konsequenz, andererseits eine geradezu bezeichnende Ironie, dass eben jene, die den Pluralismus als gescheitert ansehen wollen, kaum den geringsten Versuch unternehmen, ihre Einstellung zu alternativen Konzepten dahingehend zu überdenken, dass sie diesen nicht nur eine distanzierte Berechtigung zusprechen, sondern auch eine gewisse Anerkennung entgegenbringen.


Es macht mich traurig mitanzusehen, dass es genug Menschen gibt, deren individueller und rein privater Lebensstil Anlass für andere Menschen ist, sie zu missachten. Diese Leute erfahren in der Gesellschaft wenig Anerkennung, obwohl ihre Angelegenheiten niemand anderen direkt betreffen und erst recht keiner Schaden daran nimmt. Sie sind mit einer Geringschätzung konfrontiert, weil ihr Gegenüber seine persönlichen Vorstellungen vom rechten Leben auf sie überträgt. Dieser Inbegriff unvernünftiger Intoleranz macht das Leben in einer pluralistischen Gesellschaft für viele Leute unfassbar schwierig.
Was weitere Grundregeln des Zusammenlebens betrifft, so habe ich mich dazu bereits in zahlreichen Beiträgen zum Thema Ethik geäußert. Dies kann unter der entsprechenden Rubrik nachgelesen werden.

Autor
Markus Hittmeir bloggt, veröffentlicht großartige Kurzgeschichten und hat bereits ein Buch publiziert.

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