8. September 2012

Aufruf gegen die Wehrpflicht

Ich bin ein Schüler, und heute in einer Woche beginnt mein letztes Schuljahr. Die Matura naht. Der Plan für später: Studium der Politik- und Kommunikationswissenschaften. Wahrscheinlich Master, das mache ich dann von der Studienerfahrung abhängig. Ich kann es wirklich kaum erwarten, mich von all dem für mich irrelevanten Dreck zu verabschieden und endlich nur noch das zu lernen, was mich interessiert. Studieren wird geil.

Aber so schnell geht das natürlich nicht. Und ihr ahnt schon, das Thema von heute ist die Wehrpflicht-Debatte, die momentan nicht nur die Politiker, sondern auch teilweise wirklich die österreichische Gesellschaft an sich beschäftigt. Und genau deswegen habe ich auch so angefangen.
Ich bin nicht der einzige Schüler Österreichs, der in dieser Situation ist. Viele wollen maturieren und dann studieren, aber die wenigsten können es. Sie werden in ihrer beruflichen und persönlichen Entwicklung unterbrochen. Zwingend, verpflichtend – und vollkommen fürn Arsch.

Wehrpflicht bedeutet Zwangsarbeit
Die Wehrpflicht in Österreich wird möglicherweise bald abgeschafft. So ein großer Wurf von unserer Regierung? Schwer vorstellbar, das stimmt. Darum lässt sie auch das Volk entscheiden. Im Jänner 2013 wird eine Volksbefragung zum Thema Wehrpflicht stattfinden. Man streitet sich nur noch um die Fragestellung – „Ja/Nein“ oder eine Auswahl zwischen vier Optionen?
Ich möchte mit dem Punkt anfangen, den ich bei dieser Debatte für total untergegangen halte und der mich von Anfang an gegen die die Wehrpflicht aufgebracht hat: Die Wehrpflicht ist nichts Anderes als Zwangsarbeit.
Das klingt fast schon ein bisschen radikal, wenn man sich damit noch gar nicht auf so einfacher Ebene auseinandergesetzt hat. Trotzdem ist es Fakt. Junge Männer werden dazu gezwungen, monatelang eine Arbeit auszuführen, die höchstwahrscheinlich nicht ihr späterer Beruf wird. Bei aller Argumentation von einem späteren sozialen Nutzen und einer tollen Erfahrung – das muss nicht sein.

Wehrpflicht vs. Berufsheer
Dieser Kampf wird momentan von Politikern, Medien und im Jänner dann letztendlich vom Volk ausgetragen. Dabei wäre ein Berufsheer zweifellos die bessere Version. Aber nicht nur, weil wir damit Zwangsarbeit abschaffen würden, da gibt’s noch mehr:
Das Heer an sich macht keinen Sinn, denn unser Land ist in keinem momentan denkbaren Kriegsszenario involviert. Wir pflegen zu keinem Land schlechte Beziehungen, sind eines der vorbildlichsten Länder der Europäischen Union und tun niemandem etwas. Zudem sind wir neutral. Ein Argument, dass die Wehrpflicht an sich schon genug in Frage stellen dürfen. „Wir tun niemanden etwas und schlagen uns auf keine Seite – aber wir verpflichten unsere Männer, zur Waffe greifen zu können.“ – macht das Sinn?
Wenn man hingegen davon ausgeht, dass Landesverteidigung für die unmöglichsten Fälle von Kriegen notwendig ist und wir bewaffnete Truppen brauchen, dann spricht immer noch alles für ein Berufsheer. Es macht absolut Sinn, dass Profis Krieg führen. Wir können nicht Jugendliche sechs Monate ausbilden und von ihnen erwarten, unser Land mit der Waffe in der Hand zu verteidigen. Aber in einem Berufsheer verteidigen Profis das Land – ständige Aus- und Fortbildung für Soldaten, die gerne Soldaten sind. Selbst die große U.S. Army spart die richtig harten Jobs wie die Verteidigung ausländischer Ölraffinerien auf für private Sicherheitsfirmen – Profis eben, Badass! Apropos: Die großen USA sowie China haben keine Wehrpflicht. Schwäche? …
Auch finanziell wäre es zielführender, ein Berufsheer zu haben. Unser Heer ist „totgespart“, Panzer und Eurofighter werden in Frage gestellt, verkauft, ausgemistet. Es ist ein riesiger Apparat, der viel kostet und wenig bis gar nichts leistet. Von dem Geld, das mit der Abschaffung der Wehrpflicht eingespart wird, kann man mehr als nur das Berufsheer richtig finanzieren.
Finanzen und Sozialsystem
„Die Gesamtkosten für Grundwehrdiener im Österreichischen Bundesheer belaufen sich derzeit auf etwa 210 Millionen Euro pro Jahr. Ein Großteil dieser Summe könnte wesentlich effizienter in eine Profi-Truppe investiert werden. Rund 60 Prozent aller Grundwehrdiener pro Jahr gehen keinen soldatischen Aufgaben nach, sie dienen als Köche, Küchengehilfe, usw. ausschließlich der Systemerhaltung.“
 - spoe.at
Wirtschaftlich wäre die Abschaffung der Wehrpflicht also auch durchaus sinnvoll. Ein immenser Aufwand für nichts und wieder nichts wäre weg und könnte besser investiert werden. Gerade in Zeiten der Euro-Krise keine schlechte Idee, oder?
Die große Frage bleibt natürlich noch die, wie man den Zivildienst ausgleicht. Ich bin mir sicher, dass lag jetzt schon einigen auf der Zunge. Dazu muss man erst mal anmerken, dass der Zivildienst ein Zugeständnis an die aufgeklärte Gesellschaft war. Eine Option für die, die Waffen ablehnten und dem Krieg „Nein“ sagten. Zuerst wollte man ihn sogar bewusst unattraktiv machen, aber der Fortschritt war nicht aufzuhalten. Heute ist der Zivildienst ein fixer Bestandteil des Sozialsystems und nicht mehr wegzudenken … oder?
Durchaus. Auch dies könnte man finanziell locker durch die Einsparungen des Heers finanzieren. Sozialminister Rudolf Hundstorfer brachte kürzlich einen Vorschlag zum freiwilligen „Sozialjahr“. Wer möchte, kann sich ein Jahr lang wie im Zivildienst einer Organisation unterstellen, um dort zu arbeiten. Auf freiwilliger Basis – das ist wichtig! Diese Jobs würden dann auch besser bezahlt werden – 1300 € pro Monat. Das ist zwar unter dem Mindestlohn, aber das sind die 300-400 € für den Zivildienst auch – hier versteh ich die Kritiker einfach nicht. Auch, wenn der Ansturm freilich nicht den gesamten Zivildienst abdecken könnte, wäre es ein guter Anfang. Allgemein wäre es finanziell möglich, den Verlust an Zivildienern abzufangen – besseres Gehalt für Arbeiter im Sozialsystem, mehr Zuschüsse für Krankenhäuser, etc. Ich für meinen Teil glaube nicht, dass all die geltenden Berufe so unattraktiv für den Großteil der Bevölkerung sind.

Politik in Österreich
Noch ein bisschen was zum politischen Hintergrund der Volksbefragung: Die ÖVP ist momentan nicht unbedingt glücklich mit ihrer politischen Rolle. Die SPÖ als Koalitionspartner flirten mit den Grünen, und wenn man selbst mit der FPÖ flirtet kommt das blöd. Muss ich erwähnen, warum?
Nun schlägt Erwin Pröll von der ÖVP vor, eine Volksbefragung zu diesem Thema durchzuführen. Es ist bekannt, dass die Volkspartei und ihre Wähler durchaus für die Wehrpflicht sind, und es gilt ebenso als bekannt (seit der Forderung widersprechen sich die Statistiken), dass eine kleine Mehrheit des österreichischen Volkes für die Wehrpflicht eintritt. Aber wenn die ÖVP plötzlich in direkte Demokratie macht, kommt das gut. Ich halte das für einen Wahlkampfgag, der nur dafür da ist, das Image aufzupolieren. „Wir sind dafür, dass sich nichts ändert, aber das ist das Volk sicher auch. Lassen wir sie abstimmen – dann haben wir ihnen die direkte Demokratie gebracht und nebenbei noch für die Meinung der Kritiker gekämpft“. Nett gedacht, aber das wird die Probleme der Partei nicht in Luft auflösen. Scheinheiliges Pack.

Fazit
Nach einem Bitchmove der ÖVP wird nun scheinheilig das Volk befragt, da man glaubt, die Antwort zu kennen. Kein Wunder bei einem Volk, das zu einem großen Prozentanteil aus alten, rechten, konservativen und nicht zuletzt auch dummen Menschen besteht. Das ist keine schlechte Ausgangslage wenn es um eine Reform dieser Größe geht.
Trotzdem habe ich meine Hoffnung, dass die Vernunft siegt. Ein Berufsheer wäre effizienter im Falle seiner Notwendigkeit, der Zivildienst und der Katastrophenschutz könnten easy abgefangen werden und höchstwahrscheinlich würde immer noch ein Taschengeld für andere Investitionen übrig bleiben – wie wär’s mal mit Geld für die Universitäten? Oder stimmen wir bald über Studiengebühren ab?
Wenn Österreich vernünftig ist, dann wird es die Wehrpflicht abschaffen. Ich habe daran meine Zweifel, aber lasse es mir nicht nehmen, bis zur Abstimmung dagegen zu kämpfen.
Autor
Steve Anorizz hat einen eigenen Blog und veröffentlicht nun auch Texte auf unserer Plattform. Wir freuen uns auf zahlreiche Texte!

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