8. Juni 2013

Zu menschlichen Schwächen

"Ihr habt den Weg vom Wurme zum Menschen gemacht, und vieles ist in euch noch Wurm.” – Nietzsche in Zarathustra In einigen meiner prosaischen und lyrischen Texte habe ich mich mit auf literarische Weise mit der Stellung des Menschen unter den anderen Lebewesen auf der Erde auseinandergesetzt. Mit der geläufigen Auffassung dazu werde ich mich heute rein argumentativ beschäftigen. Darüber hinaus möchte ich eine Liste an Eigenschaften vorstellen, die derart unzertrennbar an das menschliche Schicksal gebunden zu sein scheinen und meiner Ansicht nach direkte Ursache von zahlreichen vergangenen und gegenwärtigen Konflikten der Menschheit sind; ich will sie deshalb Schwächen nennen. Weiters schätze ich sie als typisch menschlich ein, obwohl hier zu Anfang schon vorweggenommen sei, dass sich natürlich nicht behaupten lässt, dass jeder Mensch sie teilt, und ebensowenig, dass nur Menschen sie teilen. Ich lehne den Mensch-Tier Dualismus als gedankliche Gliederung der Lebewesen auf der Erde ab. Ich sehe weder eine biologische noch eine ethische Veranlassung dafür, das Leben auf der Erde primär anhand der Eigenschaften menschlich und nichtmenschlich zu charakterisieren. 


Es ist ein klassisches Beispiel für etliche Wir-Andere Dualismen, nur ein weiterer der unzähligen Chauvinismen, die einfachste Sicht der Dinge, ein Konzept der Abgrenzung, wie es auf unterschiedlichsten sozialen Ebenen vorzufinden ist, ein verqueres Selbstbild, das einst irgendeiner religiösen Eitelkeit entsprang und seither das natürliche Zusammenleben stört. Ich schätze den suggestiven Einfluss dieser Sichtweise hoch ein und bin überzeugt, dass allein darin schon einer der Gründe für die massiven Schäden liegt, die der Mensch seiner Umwelt zufügt. Sie bildet die Grundlage des sogenannten Speziesismus, womit man die ethische Weisung bezeichnet, nach der die Interessen von Mitgliedern einer Spezies stärker gewichtet werden sollten als die Interessen von Wesen, die nicht dieser Spezies angehören, und dies nicht durch ethisch relevante Merkmale, sondern allein durch die Spezieszugehörigkeit selbst begründet wird. Der Mensch unterscheidet sich durch seinen evolutionären Vorteil der herausragenden Intelligenz deutlich von den anderen Lebewesen. Tatsächlich lässt sich obiger Dualismus unter anderem auf den Fehlschluss zurückführen, dass dies ein Merkmal ethischer Relevanz wäre. Das ist es nicht. Die Interessen des Menschen werden durch seine kognitive Leistungsfähigkeit nicht bedeutender. Ebensowenig verlieren sie durch seine relativ geringe Körperkraft an Wichtigkeit. 

Dies sind genauso wertneutrale Eigenschaften wie etwa die Körpergröße. Ethisch relevant sind allein die Empfindungen von Freude und Leid. Kaum einer schenkt etwa den Interessen von intelligenten Menschen grundsätzlich mehr Beachtung als denen von dummen. Was uns also einerseits offenkundig falsch erscheint, wird andererseits als Argument für den Speziesismus ins Feld geführt. Wer sich dies vor Augen hält und beginnt, sich vom Gedanken des Mensch-Tier Dualismus zu lösen, wird die Menschheit nackt sehen, nicht als Herrscher, nicht in irgendeiner heroischen Vorstellung, nicht im Schein göttlicher Heiligkeit, nicht als Maß aller Dinge, sondern als irgendein Geschlecht innerhalb der Vielfalt unzähliger. Es hat überdies eine neue Qualität, den derart entblößten und um jede Rechtfertigung gebrachten Menschen bei all seinen Verbrechen gegenüber anderen Wesen zu beobachten. Dies befähigt zu ehrlicher Selbstkritik und schafft die Möglichkeit zu einem anderen Bezug zu nichtmenschlichen Tieren. Daraus ergibt sich dann meiner Erfahrung nach folgende Einsicht: Die Menschheit ist über alle Maßen eitel. Freud hat einen genialen Griff damit getan, die besonders einschneidenden Erkenntnisse der letzten Jahrhunderte die drei “Kränkungen der Menschheit” zu nennen. Es ist dies gewiss keine Überaschung und darüber hinaus wohl auch eine Leichtigkeit festzustellen, worin unsere Eitelkeit sich manifestiert. Im Artikel wurden auch bereits einige Beispiele dafür genannt. Ich sehe überdies eine direkte Beziehung zur Religiosität. Die Menschheit ist emotional stupide. Empathievermögen ist eine herausragende Eigenschaft, noch viel herausragender als kognitives Genie und darüber hinaus auch seltener. Das Erkennen der Notwendigkeit einer Ethik war in erster Linie eine Errungenschaft des Verstandes. Das Einprägen von Verhaltensregeln und das Verstehen ihres Zwecks ist großteils der Verdienst der Intelligenz. In der emotionalen Dummheit der Menschen liegt der Grund, dass ethische Regelwerke seit jeher zumeist eben das waren: ein Konzept von Normen, die es zu erlernen galt. Der Mensch erlernt, wie er sich verhalten soll. Der Mensch erlernt, was gut und böse ist. Wir lernen, in welchen Situationen wir lachen dürfen, was wir traurig finden oder weswegen wir wütend sein sollen. Man hat uns beigebracht, worüber wir uns entrüsten und was uns kalt lassen soll. Dass gewöhnliche Menschen unter Anweisung einer Autorität furchtbare Dinge tun können, ist damit selbstverständlich. Dass Schlachthäuser in unserer Gesellschaft zum Lebensalltag gehören und eine entsprechend erzogene Generation in einigen Jahrhunderten nicht fassen wird können, dass so etwas jemals möglich war, ist ein erschreckend vertrautes Bild, das diesen Sachverhalt aus jeder Sicht veranschaulicht. 

Die Menschheit ist besonders egoistisch. Während Egoismus im evolutionärem Bewerb ein natürlicher und lebensnotwendiger Wesenszug ist, erhält er beim Menschen durch dessen Intelligenz und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten eine besondere Qualität. In der Wildnis sichern egoistische Verhaltensweisen das eigene Überleben. Beim Menschen gelangen sie schon in der Verwirklichung der geringsten Bedürfnisse zum Ausdruck. Den Geschmack des Fleisches zu empfinden stellt er auch dann über das Glück und Leben tausender Tiere, wenn er sich problemlos anders ernähren könnte. Ökonomische Interessen und die Befriedigung der Profit- und Konsumgier werden über das Heil und den Fortbestand ganzer Arten gestellt. Die eigenen Interessen werden mit unglaublichen technologischen Mitteln durchgesetzt, die der Mensch mit seinen kognitiven Fähigkeiten geschaffen hat und die er in seiner emotionalen Dummheit ohne ethisches Konzept und fremde Leitung nicht nachhaltig beherrschen kann. Dies ist es wohl schlussendlich, was Mephisto in Goethes Faust zu Beginn an Gott richtet: “Er nennts Vernunft und brauchts allein, nur tierischer als jedes Tier zu sein.” Die Menschheit ist bequem. Die vielfach verfluchte Prokrastination ist nicht nur ein psychisches Phänomen im Geiste von Einzelpersonen, sondern in dem von ganzen Generationen. Lösungen für Probleme zu finden, deren Konsequenzen erst in langer Zeit spürbar sein werden, scheint schlichtweg kein großes Anliegen derjenigen zu sein, die gegenwärtig unbeschwert leben oder sich mit anderen Dingen beschäftigen müssen. 

Außerdem zieht der Mensch den effizientesten Weg zu einem Ziel oft auch dann vor, wenn es nachhaltigere Alternativen gäbe. Die misanthropische Selbstkritik muss als konstruktiv verstanden und als zutreffend akzeptiert werden, wenn man daraus einen Nutzen ziehen möchte. Im Grunde ergeben sich die beschriebenen Punkte aus dem Problem überragender Intelligenz, mit der kein ausreichendes ethisches Bewusstsein einhergeht. Der Kern der Probleme ist daher in meinen Augen die fehlende Empathie. Ich bin der Auffassung, dass grundsätzlich nicht jeder Mensch alle genannten Schwächen teilt, aber wenigstens Ansätze von ihnen in mehr oder weniger spürbarem Ausmaß in sich trägt, mit denen er sich auseinandersetzen könnte. Um dahingehend ehrlich mit sich zu sein, muss man allerdings zuallererst die eigene Eitelkeit überwinden, und ein Blick in die Öffentlichkeit lässt vermuten, dass dies mitunter für die meisten Leute sogar die schwerste aller Hürden sein könnte.

Autor
Markus Hittmeir verfasst großartige Texte in seinem Blog und stellt diese häufig auch hier zur Verfügung.

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