Die türkische Regierung muss sich über die jüngste Abfuhr der EU nicht wundern
Wien (OTS) - Sie haben verloren und verlieren nur weiter. Das Nein
zur Öffnung eines neuen Kapitels bei den Beitrittsverhandlungen mit
der EU kann diese Woche die nächste große Niederlage für Tayyip
Erdogan und seine Regierung bedeuten.
Der türkische Premier hat den Weg der Konfrontation und der
Unterdrückung der Protestbewegung in seinem Land gewählt, die man
mittlerweile mit Fug und Recht eine Demokratiebewegung nennen kann.
Dialog und Kompromiss wären der intelligente Weg gewesen. Jetzt aber
lässt sich die türkische Regierung Tag für Tag als eine
verbohrt-autoritäre Partie vorführen. Nichts gelingt ihr. Ein
Debakel.
Denn sie lernt auch nichts. Die Chuzpe, mit der Erdogan und sein
Europaminister Egemen Bagif - auch kein Mann der abwägenden Worte -
nun mit Parlament, Kommission und Regierungen in der EU umspringen,
ist atemberaubend.
Seit einer Woche erklärt Erdogan seinem Wählervolk, dass er keinen
Deut auf das Straßburger Parlament gibt: "Wer bist du, dass du einen
Beschluss über mich fassen kannst? Das ist nicht deine Sache." Den
EU-Beitritt sieht er als naturgegebenes Recht, nicht etwa als
Anerkennung für Verpflichtungen, die zuerst einmal zu erfüllen wären:
"Die Türkei ist kein Land, das man vor der Tür warten lassen kann."
Und Bagif, der Chefunterhändler mit der EU, droht der deutschen
Kanzlerin wegen deren Kritik am Umgang mit den Demonstranten.
Wer sich mit der Türkei anlege, ende wie Nicolas Sarkozy, der frühere
französische Präsident und Türkei-Beitritts-Gegner, der 2012 die
Wiederwahl verlor - so erklärte Egemen Bagif vor Journalisten in
Ankara, kein bisschen gerührt von der Absurdität seiner Behauptung.
Dass sich die türkische Regierung nun ungerecht behandelt fühlt,
überrascht zeigt über die Einbestellung ihres Botschafters in Berlin
und Empörung spielt über die wohl verpasste Chance eines neuen
Verhandlungskapitels, heißt, die Europäer für dumm verkaufen zu
wollen. Was anderes ist nach einer solchen Darbietung zu erwarten?
Angela Merkel hat noch etwas Zeit, um ihren Fehler zu korrigieren, so
ließ die türkische Diplomatie wissen. R
ealitätsverlust und
Überheblichkeit sind ihr Markenzeichen geworden. Auch Außenminister
Ahmet Davutoglu ist kompromittiert. Der immer reitende Bote der
Demokratie in der arabischen Welt, in Afrika und Zentralasien hängt
ebenfalls der Fiktion von der ausländisch gesteuerten, von übel
meinenden Kräften angefachten Protestbewegung in seinem Land an.
Davutoglu lässt nun prüfen, wer was im Westen über die Proteste in
der Türkei sagt und schreibt.
Die seit mehr als zehn Jahren amtierende, zu Beginn
reformorientierte konservativ-islamische Regierung offenbart ein
Gesicht, das man lieber nicht gesehen hätte. Sie organisiert und
respektiert eher anstandslos demokratische Wahlen, doch die
demokratische Kultur fehlt ihr.
Das Recht auf freie Meinungsäußerung räumt die türkische Regierung
den meisten ein (nicht den "Terroristen" der Linken und der Kurden).
Aber die Idee akzeptiert sie im Grunde nicht: Jeder kann eine falsche
Meinung haben und wird - so Gott will - früher oder später schon
seinen Irrtum erkennen; und Pluralismus ist, wenn mehrere dasselbe
denken.
Hier liegt die Chance der jungen Demokratiebewegung. Sie ändert jetzt
schon die politische Kultur der Türkei.
Quelle: APA-OTS, Aussender: "Der Standard"
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