27. Mai 2013

Zum Zufall in der Quantenphysik

In vielen meiner Artikel und in den Texten, die ich abseits des Blogs verfasse, beschäftige ich mich mit dem Zufall und mit deterministischen Theorien. Letzere befassen sich mit der Ansicht, dass in unserem Universum alle Geschehnisse eindeutig durch ihre Ursachen bestimmt sind. Ihnen stehen Auffassungen entgegen, die bei denselben Ausgangsbedingungen mehrere verschiedene Folgeereignisse als möglich erachten und auf wahrscheinlichkeitstheoretischen Prinzipien aufbauen. Meine deterministische Weltsicht habe ich etwa in “Zu Wahrscheinlichkeit und Zufall” etwas genauer erläutert. Heute möchte ich mich der schon öfters aufgeworfenen Frage stellen, warum ich indeterministische Realitätsmodelle der Naturwissenschaften nicht als Gegenargument gelten lasse.


Die Modelle der klassischen Physik sind deterministisch. Als der Mensch dann die Möglichkeiten hatte, sich intensiver dem Studium der Dinge zu widmen, die sich aufgrund ihrer makro- oder mikrokosmischen Größenverhältnisse seiner direkten Wahrnehmung entzogen, stieß er verständlicherweise auf Schwierigkeiten. Einige Phänomene waren zu komplex, um explizite Berechnungen durchführen zu können, andere verhielten sich derart sensibel, dass die Idealisierungen der klassischen Modelle zu großen Fehlern führten. Diese Dimensionen begeisterteten damals wie auch heute Fachleute und Laien aufgrund ihrer Geheimnisse und ihres nahezu magisch wirkenden Potentials. Und wie es in der Geschichte der Wissenschaften unzählige Male passiert war, so führte auch hier die Begeisterung zur Entwicklung von neuen Modellen, um eine Erklärung der Phänomene zu finden.

Die Quantenphysik ist mittlerweile eine bewährte und wichtige Grundlage physikalischer Forschungsgebiete. Manche ihrer Aussagen sind probabilistisch und daher indeterministisch. Bei denselben Voraussetzungen sind mehrere verschiedene Ereignisse als Konsequenz möglich, jeweils zu bestimmten Wahrscheinlichkeiten. Dieser Bestandteil der Theorie stimmt mit den Beobachtungen überein, denn Hinweise auf einen systematischen Zusammenhang hat man bisher weder experimentell nachweisen noch auf eine andere Weise feststellen können. Es tut sich in Folge eine wissenschaftstheoretische und metaphysische Frage auf: Sind die entsprechenden Phänomene tatsächlich indeterministisch oder gibt es ein anderes Modell, das ihr Funktionsprinzip restlos erklären könnte?


Grundsätzlich müssen sich Vertreter des ersten Standpunktes einem Problem stellen. Seien bei denselben Ausgangsbedingungen sowohl A als auch B möglich, etwa zu gleicher Wahrscheinlichkeit, und es trete dann beispielsweise A ein. Dann gibt es nicht nur in der Theorie sondern ihrem Standpunkt gemäß auch in der Realität keine Erklärung dafür, dass A eingetreten ist, B aber nicht. Nicht nur also, dass das Funktionsprinzip vom Menschen nicht restlos geklärt ist, es ist nach dieser Meinung tatsächlich nicht erklärbar. Das Problem hierbei ist aber, wie man diese Auffassung nun anders rechtfertigen möchte als eben dadurch, dass man besagte Theorie zurate zieht und argumentiert, dass es laut ihr keine Erklärung gäbe. Dass es jedoch nicht dasselbe ist, wenn der Mensch etwas zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht erkennen, berechnen und erklären kann oder wenn etwas tatsächlich nicht erkennbar, berechenbar und erklärbar ist, ist offenkundig.
Ein weiteres Problem ist die Unwissenschaftlichkeit der Annahme, dass es Geschehnisse ohne Erklärung gibt. Hätte jeder Wissenschafter der Menschheitsgeschichte unter einer solche Maxime geforscht, hätte es wohl kaum eine große Erkenntnis gegeben. Wetterphänomene etwa, deren Prinzipien und Wirkungsweisen uns heute völlig klar sind, wären noch immer übersinnliche Schauspiele oder Ausdruck göttlicher Gefühle. Die Ansicht, sich der Frage nach der Funktionsweise eines Objekts unserer Betrachtung gar nicht erst stellen zu müssen, ist einerseits bequem. Andererseits bedeutet es auch, dieses potentielle Feld der Erkenntnis gewissermaßen aufgegeben zu haben.


Als drittes Problem tut sich die Frage auf, warum Dinge passieren, wenn ihnen keine kausale Notwendigkeit zugrundeliegt. Man wird feststellen, dass ihre Beantwortung üblicherweise auf übersinnliche Erklärungen hinausläuft oder darauf, dass es auf diese Frage eben keine Antwort gibt; eine etwas unbefriedigende Reaktion im Angesicht der Tatsache, dass dies stets der übliche Umgang der Menschen mit Erkenntnisproblemen war, oft genug sogar in Angelegenheiten, in denen man später eine Lösung finden konnte.


Natürlich handelt es sich wie erwähnt um ein metaphysisches Problem und dementsprechend ist es ebenso unmöglich, mit empirischen Mitteln für die deterministische Weltsicht zu argumentieren, wie dagegen. Allerdings hoffe ich, die Vernünftigkeit dieser Sichtweise nun auch im Angesicht der Wissenschaftstheorie aufgezeigt zu haben. Dass es sich bei der Quantenphysik um eine ausgesprochen vielversprechende Theorie mit gut bewährten und funktionierenden Modellen handelt, dass sie jedoch gleichzeitig eine junge Wissenschaft mit völlig neuen Forschungsfeldern ist, die manchmal an die Grenzen der strengen empirischen Methode stößt und das Metaphysische berührt, wird auch anhand der zahlreichen pseudophilosophischen Beiträge von interpretationslustigen Physikern in Boulevardblättern deutlich, oder durch die Benützung quantenphysikalischer Schlagworte für die Vermarktung parawissenschaftlicher Produkte.

Autor
Markus Hittmeir verfasst großartige Texte und hat bereits ein Buch veröffentlicht.
Sein Blog ist hier zu finden. 

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