In vielen meiner Artikel und in den Texten, die ich abseits des Blogs
verfasse, beschäftige ich mich mit dem Zufall und mit deterministischen
Theorien. Letzere befassen sich mit der Ansicht, dass in unserem
Universum alle Geschehnisse eindeutig durch ihre Ursachen bestimmt sind.
Ihnen stehen Auffassungen entgegen, die bei denselben
Ausgangsbedingungen mehrere verschiedene Folgeereignisse als möglich
erachten und auf wahrscheinlichkeitstheoretischen Prinzipien aufbauen.
Meine deterministische Weltsicht habe ich etwa in “Zu Wahrscheinlichkeit und Zufall”
etwas genauer erläutert. Heute möchte ich mich der schon öfters
aufgeworfenen Frage stellen, warum ich indeterministische
Realitätsmodelle der Naturwissenschaften nicht als Gegenargument gelten
lasse.
Die Modelle der klassischen Physik sind deterministisch.
Als der Mensch dann die Möglichkeiten hatte, sich intensiver dem Studium
der Dinge zu widmen, die sich aufgrund ihrer makro- oder
mikrokosmischen Größenverhältnisse seiner direkten Wahrnehmung entzogen,
stieß er verständlicherweise auf Schwierigkeiten. Einige Phänomene
waren zu komplex, um explizite Berechnungen durchführen zu können,
andere verhielten sich derart sensibel, dass die Idealisierungen der
klassischen Modelle zu großen Fehlern führten. Diese Dimensionen
begeisterteten damals wie auch heute Fachleute und Laien aufgrund ihrer
Geheimnisse und ihres nahezu magisch wirkenden Potentials. Und wie es in
der Geschichte der Wissenschaften unzählige Male passiert war, so
führte auch hier die Begeisterung zur Entwicklung von neuen Modellen, um
eine Erklärung der Phänomene zu finden.
Die Quantenphysik ist
mittlerweile eine bewährte und wichtige Grundlage physikalischer
Forschungsgebiete. Manche ihrer Aussagen sind probabilistisch und daher
indeterministisch. Bei denselben Voraussetzungen sind mehrere
verschiedene Ereignisse als Konsequenz möglich, jeweils zu bestimmten
Wahrscheinlichkeiten. Dieser Bestandteil der Theorie stimmt mit den
Beobachtungen überein, denn Hinweise auf einen systematischen
Zusammenhang hat man bisher weder experimentell nachweisen noch auf eine
andere Weise feststellen können. Es tut sich in Folge eine
wissenschaftstheoretische und metaphysische Frage auf: Sind die
entsprechenden Phänomene tatsächlich indeterministisch oder gibt es ein
anderes Modell, das ihr Funktionsprinzip restlos erklären könnte?
Grundsätzlich
müssen sich Vertreter des ersten Standpunktes einem Problem stellen.
Seien bei denselben Ausgangsbedingungen sowohl A als auch B möglich,
etwa zu gleicher Wahrscheinlichkeit, und es trete dann beispielsweise A
ein. Dann gibt es nicht nur in der Theorie sondern ihrem Standpunkt
gemäß auch in der Realität keine Erklärung dafür, dass A
eingetreten ist, B aber nicht. Nicht nur also, dass das Funktionsprinzip
vom Menschen nicht restlos geklärt ist, es ist nach dieser Meinung
tatsächlich nicht erklärbar. Das Problem hierbei ist aber, wie man diese
Auffassung nun anders rechtfertigen möchte als eben dadurch, dass man
besagte Theorie zurate zieht und argumentiert, dass es laut ihr keine
Erklärung gäbe. Dass es jedoch nicht dasselbe ist, wenn der Mensch etwas
zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht erkennen, berechnen und erklären
kann oder wenn etwas tatsächlich nicht erkennbar, berechenbar und
erklärbar ist, ist offenkundig.
Ein weiteres Problem ist die
Unwissenschaftlichkeit der Annahme, dass es Geschehnisse ohne Erklärung
gibt. Hätte jeder Wissenschafter der Menschheitsgeschichte unter einer
solche Maxime geforscht, hätte es wohl kaum eine große Erkenntnis
gegeben. Wetterphänomene etwa, deren Prinzipien und Wirkungsweisen uns
heute völlig klar sind, wären noch immer übersinnliche Schauspiele oder
Ausdruck göttlicher Gefühle. Die Ansicht, sich der Frage nach der
Funktionsweise eines Objekts unserer Betrachtung gar nicht erst stellen
zu müssen, ist einerseits bequem. Andererseits bedeutet es auch, dieses
potentielle Feld der Erkenntnis gewissermaßen aufgegeben zu haben.
Als
drittes Problem tut sich die Frage auf, warum Dinge passieren, wenn
ihnen keine kausale Notwendigkeit zugrundeliegt. Man wird feststellen,
dass ihre Beantwortung üblicherweise auf übersinnliche Erklärungen
hinausläuft oder darauf, dass es auf diese Frage eben keine Antwort
gibt; eine etwas unbefriedigende Reaktion im Angesicht der Tatsache,
dass dies stets der übliche Umgang der Menschen mit Erkenntnisproblemen
war, oft genug sogar in Angelegenheiten, in denen man später eine Lösung
finden konnte.
Natürlich handelt es sich wie erwähnt um ein
metaphysisches Problem und dementsprechend ist es ebenso unmöglich, mit
empirischen Mitteln für die deterministische Weltsicht zu argumentieren,
wie dagegen. Allerdings hoffe ich, die Vernünftigkeit dieser Sichtweise
nun auch im Angesicht der Wissenschaftstheorie aufgezeigt zu haben.
Dass es sich bei der Quantenphysik um eine ausgesprochen
vielversprechende Theorie mit gut bewährten und funktionierenden
Modellen handelt, dass sie jedoch gleichzeitig eine junge Wissenschaft
mit völlig neuen Forschungsfeldern ist, die manchmal an die Grenzen der
strengen empirischen Methode stößt und das Metaphysische berührt, wird
auch anhand der zahlreichen pseudophilosophischen Beiträge von
interpretationslustigen Physikern in Boulevardblättern deutlich, oder
durch die Benützung quantenphysikalischer Schlagworte für die
Vermarktung parawissenschaftlicher Produkte.
Autor
Markus Hittmeir verfasst großartige Texte und hat bereits ein Buch veröffentlicht.
Sein Blog ist hier zu finden.
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