9. Februar 2013

Zur Rechtfertigung des Fleischkonsums

Ich beschäftige mich zurzeit wieder intensiver mit Problematiken der Tierethik, weil ich gestern eine Arbeit zum Thema moralischer Gleichheit von Mensch und Tier fertiggestellt habe. Als ich den Artikel “Zum Vegetarismus” schrieb, stand ich noch am Anfang meiner geistigen Auseinandersetzung mit dem Thema.

Ich will heute darüber schreiben, wie sich meine Auffassungen seitdem entwickelt haben. In verlinktem Artikel bin ich in erster Linie derart vorgegangen, dass ich versuchte, die vegetarische Lebensweise zu rechtfertigen. Ich formulierte den Beitrag als Appell zum Vegetarismus. Das werde ich nun, wie ich damals auch versprochen habe, nicht mehr tun. Dieses Mal möchte ich hingegen die üblichen Rechtfertigungen des Fleischkonsums (im Folgenden kursiv), die mir seither begegnet sind, argumentativ angreifen.


1) “Ich kann nicht sicher sein, dass Tiere unter den Bedingungen ihrer Haltung und Tötung derart leiden, wie dies von Vegetariern angenommen wird. Ich kann nicht einmal sicher sein, ob sie zu einem solchen Leidempfinden oder ob sie überhaupt zur Empfindung von Leiden fähig sind.”

Diese Argumentation könnte, wenn man sie zulassen würde, auch zur Rechtfertigung des Quälens von Menschen benutzt werden. Tatsächlich können wir uns nämlich nicht sicher sein, ob überhaupt irgendein Wesen auf dieser Welt zum Leid fähig ist, wenn wir einmal von der eigenen Person absehen. Sämtliche ihrer Reaktionen, die uns auf ihre Leiden schließen lassen, könnten nämlich theoretisch trügerisch oder gespielt sein; ob sie nun von Menschen oder von Tieren stammen. Natürlich kann man aber diese Argumentation nicht zulassen, weil es schlichtweg unvernünftig ist anzunehmen, dass andere Lebewesen nicht wirklich leiden. Und wie wir den Menschen anmerken, dass sie Leid empfinden, so auch Tieren. Das enorme Ausmaß mancher ihrer Schmerzen wird durch ihr Verhalten geradezu derart offenkundig, dass es selten einen Menschen gibt, der es betrachten kann, ohne dasselbe Mitleid zu verspüren, das er auch Menschen entgegenbringt. Davon abgesehen gibt es empirische Hinweise auf die Fähigkeit zum Empfinden von Leiden, beispielsweise die Ausprägung des Nervensystems.

2) “Das Töten und Essen anderer Wesen ist Bestandteil der Natur. Vegetarismus ist widernatürlich.
Es stimmt, dass “Fressen und Gefressen werden” in der Natur Gang und Gebe ist. Das Problem mit dieser Argumentation ist allerdings, dass sie keine ethische Relevanz hat. Hätte sie diese nämlich, müsste man den Menschen viele Dinge erlauben, die die Gesetze in zivilisierten Gesellschaften verbieten. Die animalischen Triebe des Tieres Mensch sollen, und darin sind sich die meisten Leute einig, zum Zweck des Funktionierens einer Gemeinschaft, in der unter zivilisierten Bedingungen jedes Mitglied ein möglichst gutes Leben führen kann, in vielen Fällen gezügelt werden. Wer dieses Argument der Natürlichkeit verwendet, setzt also indirekt voraus, dass das Wohl von Tieren kein Anliegen einer zivilisierten Gesellschaft sein soll.

3) “Mein Interesse am Fleischkonsum wiegt höher als das Interesse des Tieres am Leben und an Freiheit von Leid.

Sprechen wir von einem gesunden Menschen in unserer Gesellschaft, ist diese Rechtfertigung schlichtweg unverhältnismäßig. Ein solcher kann sich bekanntermaßen ohne gesundheitliche Bedenken vegetarisch ernähren. Primäre Interessen wie jenes an der Unversehrtheit des Körpers oder auch das an der Stillung des Hungers werden jedenfalls nicht berührt. Das Interesse am Fleischkonsum ist in diesen Fällen ein Interesse am angenehm empfundenen Geschmack und an gewohnten Ernährungsformen. Es ist ein Interesse an der Bequemlichkeit, ein Interesse am kurzweiligen Konsum, ein Interesse am Luxus, ein Interesse an der Aufrechterhaltung des hohen Lebensstandards, den zu genießen wir in unserer Gesellschaft gewohnt sind.

Im Übrigen führt die Befriedigung von Bedürfnissen, die sich aus diesem hohen Lebensstandard heraus entwickelt haben, zu einer Ressourcenknappheit der Erde und verschlechtert in irreversiblem Ausmaß die Lebensbedingungen künftiger Lebewesen, also auch die von Menschen. Dies gilt nicht nur für den ausufernden Fleischkonsum der Mitglieder unserer Gesellschaft, zu dessen Befriedigung bei der industriellen Fleischproduktion Unmengen an Rohstoffen verbraucht werden, sondern schlechthin für jede Form ausufernden Konsums.

4) “Ich achte auf die Herkunft des Fleisches und stelle so sicher, dass das Tier ein angenehmes Leben hatte und schmerzfrei starb.”

Die Überprüfung der Bedingungen, unter denen Tiere leben, fällt oft schwer. Wer sich mit der Thematik näher befasst, der weiß durchaus, dass deshalb furchtbare Tierhaltungsformen den Stempel “artgerecht” und die schmerzvollsten Schlachtungen das Prädikat “ordnungsgemäß” bekommen können. Selbst auf Qualitätszeichen kann man sich in dieser Hinsicht nicht verlassen, schon gar nicht in Bezug auf die Umstände der Haltung und Schlachtung eines individuellen Tieres.

Setzen wir trotzdem einmal voraus, dass ein Tier glücklich in einer indyllischen Umgebung lebt und dann völlig schmerzfrei geschlachtet wird. Wenn also auch das Interesse des Tieres an der Freiheit von Leid nicht verletzt wird, so zumindest sein Interesse an der Fortdauer dieses Lebens, das doch, desto glücklicher das Tier, umso größer ist. Wer dann den unter Punkt 3 erläuterten Einwand betrachtet, der wird zugestehen, dass die Unverhältnismäßigkeit der Rechtfertigung bestehen bleibt.

5) “Fleisch ist ein unersetzbarer Bestandteil einer gesunden und energiereichen Ernährung.”

In Punkt 3 merkte ich bereits an, dass dies schlichtweg nicht der Wahrheit entspricht. Es gilt für viele Tiere, für den Menschen aber nicht. Dieser kann, wenn er gesund ist und in der richtigen Umgebung lebt, Fleisch problemlos durch andere Lebensmittel ersetzen und so zu einer optimalen Ernährung gelangen. Das Argument wird heutzutage nicht mehr oft angeführt, da mittlerweile allgemein bekannt ist, dass die fleischlose Ernährung für die meisten Menschen sogar um einiges gesünder wäre.

Dies dürften die wichtigsten Rechtfertigungen gewesen sein. Sollte jemand eine weitere parat haben, so bitte ich ihn darum, sie in den Kommentaren vorzubringen.

Autor
Markus Hittmeier  schreibt in seinem Blog über verschiedenste Themen, von Politik bis hin zu Kurzgeschichten. Außerdem hat Markus bereits ein Buch herausgebracht, nähere Infos darüber gibt es ebenfalls auf seiner Homepage.

7 Kommentare:

  1. Mein Verhalten als einzelner ändert ja doch nichts.

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  2. Eine sehr traurige, bedauerliche Herangehens- und Denkweise...

    LG

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  3. he du. der was nix bewirkt. jeder mensch der kein fleisch frisst rettet jedes jahr zweistellige mengen an tieren. überleg also was du sagst.

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  4. Es stellt sich für einen geistig reifen und selbstständigen Menschen die Frage, wofür er verantwortlich sein kann, und wofür er es nicht sein möchte. Jeder Mensch, der Fleisch isst, ist für das Leid und die Tötung des von ihm verzehrten Tieres direkt verantwortlich. Ohne seine Nachfrage gäbe es nämlich keinen Grund für das Angebot.
    Mir ist bewusst, dass darin nicht jeder ein Problem sieht. Immerhin haben nicht alle Menschen das gleiche ethische Bewusstsein, und erst recht nicht dieselben Handlungsmaximen. Ich bin Vertreter einer interessensorientierten Ethik, die die Bedürfnisse von Lebewesen ohne Berücksichtigung ethisch irrelevanter Tatsachen (Hautfarbe, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Religion, Herkunft, Spezies,...) nach dem Ausmaß bewertet, in welchem diesen die Fähigkeit innewohnt, Glück und Leid zu befördern. Dies ist eine vernunftbasierte ethische Grundlage, eine Idee emotional intelligenter Menschen, die das Fundament eines glücklichen Zusammenlebens aller Wesen im universalen Mitleid sieht.

    Die Gesellschaften der Menschheit haben allesamt starre ethische Strukturen, da die wenigsten Individuen emotionale Intelligenz besitzen. Den meisten Leuten werden ihre ethischen Grundwerte anerzogen und sie behalten sie ein Leben lang. Unsere ethischen Konstrukte sind erlerntes Regelwerk, keine Konsequenz überdachter Empfindungen. Diese traurige Tatsache kommt, da der Mensch auf unserem Planeten eine Vormachtstellung besitzt, auf grauenhafte Weise zur Geltung und wir spüren bereits die Konsequenzen unserer Taten.

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    1. Super Beitrag, Danke.

      "Wo immer ein Tier in den Dienst des Menschen gezwungen wird, gehen die Leiden, die es erduldet, uns alle an." (Albert Schweitzer)

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  5. Sigmud freud hätte seine freude mit der veganismus/vegetarismus debatte - was da alles aufgebaut und angeführt wird - man könnte auf den gedanken verfallen, dass es hier gar nicht um tierleid, ethik oder ökologie geht - es könnte in den meisten fällen nur das (narzistische/begehrende/instinktatmende/......)
    'ich' sein, das sich zu beschreiben/erkennen sucht.

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  6. Jedes Jahr werden in Deutschland 12 Milliarden Tiere gegessen. Es gibt hierzulande etwa 6 Millionen Vegetarier. Wenn alle plötzlich wieder Fleisch essen würden... bliebe die Nachfrage gleich?

    http://albert-schweitzer-stiftung.de/aktuell/deutsche-essen-uber-12-milliarden-tiere-pro-jahr

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