Ich beschäftige mich zurzeit wieder intensiver mit Problematiken der
Tierethik, weil ich gestern eine Arbeit zum Thema moralischer Gleichheit
von Mensch und Tier fertiggestellt habe. Als ich den Artikel “Zum Vegetarismus”
schrieb, stand ich noch am Anfang meiner geistigen Auseinandersetzung
mit dem Thema.
Ich will heute darüber schreiben, wie sich meine
Auffassungen seitdem entwickelt haben. In verlinktem Artikel bin ich in
erster Linie derart vorgegangen, dass ich versuchte, die vegetarische
Lebensweise zu rechtfertigen. Ich formulierte den Beitrag als Appell zum
Vegetarismus. Das werde ich nun, wie ich damals auch versprochen habe,
nicht mehr tun. Dieses Mal möchte ich hingegen die üblichen
Rechtfertigungen des Fleischkonsums (im Folgenden kursiv), die mir
seither begegnet sind, argumentativ angreifen.
1) “Ich kann nicht sicher sein, dass Tiere unter den Bedingungen ihrer
Haltung und Tötung derart leiden, wie dies von Vegetariern angenommen
wird. Ich kann nicht einmal sicher sein, ob sie zu einem solchen
Leidempfinden oder ob sie überhaupt zur Empfindung von Leiden fähig
sind.”
Diese Argumentation könnte, wenn man sie zulassen würde, auch zur
Rechtfertigung des Quälens von Menschen benutzt werden. Tatsächlich
können wir uns nämlich nicht sicher sein, ob überhaupt irgendein Wesen
auf dieser Welt zum Leid fähig ist, wenn wir einmal von der eigenen
Person absehen. Sämtliche ihrer Reaktionen, die uns auf ihre Leiden
schließen lassen, könnten nämlich theoretisch trügerisch oder gespielt
sein; ob sie nun von Menschen oder von Tieren stammen. Natürlich kann
man aber diese Argumentation nicht zulassen, weil es schlichtweg
unvernünftig ist anzunehmen, dass andere Lebewesen nicht wirklich
leiden. Und wie wir den Menschen anmerken, dass sie Leid empfinden, so
auch Tieren. Das enorme Ausmaß mancher ihrer Schmerzen wird durch ihr
Verhalten geradezu derart offenkundig, dass es selten einen Menschen
gibt, der es betrachten kann, ohne dasselbe Mitleid zu verspüren, das er
auch Menschen entgegenbringt. Davon abgesehen gibt es empirische
Hinweise auf die Fähigkeit zum Empfinden von Leiden, beispielsweise die
Ausprägung des Nervensystems.
2) “Das Töten und Essen anderer Wesen ist Bestandteil der Natur. Vegetarismus ist widernatürlich.“
Es stimmt, dass “Fressen und Gefressen werden” in der Natur Gang und
Gebe ist. Das Problem mit dieser Argumentation ist allerdings, dass sie
keine ethische Relevanz hat. Hätte sie diese nämlich, müsste man den
Menschen viele Dinge erlauben, die die Gesetze in zivilisierten
Gesellschaften verbieten. Die animalischen Triebe des Tieres Mensch
sollen, und darin sind sich die meisten Leute einig, zum Zweck des
Funktionierens einer Gemeinschaft, in der unter zivilisierten
Bedingungen jedes Mitglied ein möglichst gutes Leben führen kann, in
vielen Fällen gezügelt werden. Wer dieses Argument der Natürlichkeit
verwendet, setzt also indirekt voraus, dass das Wohl von Tieren kein
Anliegen einer zivilisierten Gesellschaft sein soll.
3) “Mein Interesse am Fleischkonsum wiegt höher als das Interesse des Tieres am Leben und an Freiheit von Leid.“
Sprechen wir von einem gesunden Menschen in unserer Gesellschaft, ist
diese Rechtfertigung schlichtweg unverhältnismäßig. Ein solcher kann
sich bekanntermaßen ohne gesundheitliche Bedenken vegetarisch ernähren.
Primäre Interessen wie jenes an der Unversehrtheit des Körpers oder auch
das an der Stillung des Hungers werden jedenfalls nicht berührt. Das
Interesse am Fleischkonsum ist in diesen Fällen ein Interesse am
angenehm empfundenen Geschmack und an gewohnten Ernährungsformen. Es ist
ein Interesse an der Bequemlichkeit, ein Interesse am kurzweiligen
Konsum, ein Interesse am Luxus, ein Interesse an der Aufrechterhaltung
des hohen Lebensstandards, den zu genießen wir in unserer Gesellschaft
gewohnt sind.
Im Übrigen führt die Befriedigung von Bedürfnissen, die sich aus diesem
hohen Lebensstandard heraus entwickelt haben, zu einer
Ressourcenknappheit der Erde und verschlechtert in irreversiblem Ausmaß
die Lebensbedingungen künftiger Lebewesen, also auch die von Menschen.
Dies gilt nicht nur für den ausufernden Fleischkonsum der Mitglieder
unserer Gesellschaft, zu dessen Befriedigung bei der industriellen
Fleischproduktion Unmengen an Rohstoffen verbraucht werden, sondern
schlechthin für jede Form ausufernden Konsums.
4) “Ich achte auf die Herkunft des Fleisches und stelle so
sicher, dass das Tier ein angenehmes Leben hatte und schmerzfrei starb.”
Die Überprüfung der Bedingungen, unter denen Tiere leben, fällt oft
schwer. Wer sich mit der Thematik näher befasst, der weiß durchaus, dass
deshalb furchtbare Tierhaltungsformen den Stempel “artgerecht” und die
schmerzvollsten Schlachtungen das Prädikat “ordnungsgemäß” bekommen
können. Selbst auf Qualitätszeichen kann man sich in dieser Hinsicht
nicht verlassen, schon gar nicht in Bezug auf die Umstände der Haltung
und Schlachtung eines individuellen Tieres.
Setzen wir trotzdem einmal voraus, dass ein Tier glücklich in einer
indyllischen Umgebung lebt und dann völlig schmerzfrei geschlachtet
wird. Wenn also auch das Interesse des Tieres an der Freiheit von Leid
nicht verletzt wird, so zumindest sein Interesse an der Fortdauer dieses
Lebens, das doch, desto glücklicher das Tier, umso größer ist. Wer dann
den unter Punkt 3 erläuterten Einwand betrachtet, der wird zugestehen,
dass die Unverhältnismäßigkeit der Rechtfertigung bestehen bleibt.
5) “Fleisch ist ein unersetzbarer Bestandteil einer gesunden und energiereichen Ernährung.”
In Punkt 3 merkte ich bereits an, dass dies schlichtweg nicht der
Wahrheit entspricht. Es gilt für viele Tiere, für den Menschen aber
nicht. Dieser kann, wenn er gesund ist und in der richtigen Umgebung
lebt, Fleisch problemlos durch andere Lebensmittel ersetzen und so zu
einer optimalen Ernährung gelangen. Das Argument wird heutzutage nicht mehr oft angeführt, da mittlerweile
allgemein bekannt ist, dass die fleischlose Ernährung für die meisten
Menschen sogar um einiges gesünder wäre.
Dies dürften die wichtigsten Rechtfertigungen gewesen sein. Sollte
jemand eine weitere parat haben, so bitte ich ihn darum, sie in den
Kommentaren vorzubringen.
Autor
Markus Hittmeier schreibt in seinem Blog über verschiedenste Themen, von Politik bis hin zu Kurzgeschichten. Außerdem hat Markus bereits ein Buch herausgebracht, nähere Infos darüber gibt es ebenfalls auf seiner Homepage.
Mein Verhalten als einzelner ändert ja doch nichts.
AntwortenLöschenEine sehr traurige, bedauerliche Herangehens- und Denkweise...
AntwortenLöschenLG
he du. der was nix bewirkt. jeder mensch der kein fleisch frisst rettet jedes jahr zweistellige mengen an tieren. überleg also was du sagst.
AntwortenLöschenEs stellt sich für einen geistig reifen und selbstständigen Menschen die Frage, wofür er verantwortlich sein kann, und wofür er es nicht sein möchte. Jeder Mensch, der Fleisch isst, ist für das Leid und die Tötung des von ihm verzehrten Tieres direkt verantwortlich. Ohne seine Nachfrage gäbe es nämlich keinen Grund für das Angebot.
AntwortenLöschenMir ist bewusst, dass darin nicht jeder ein Problem sieht. Immerhin haben nicht alle Menschen das gleiche ethische Bewusstsein, und erst recht nicht dieselben Handlungsmaximen. Ich bin Vertreter einer interessensorientierten Ethik, die die Bedürfnisse von Lebewesen ohne Berücksichtigung ethisch irrelevanter Tatsachen (Hautfarbe, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Religion, Herkunft, Spezies,...) nach dem Ausmaß bewertet, in welchem diesen die Fähigkeit innewohnt, Glück und Leid zu befördern. Dies ist eine vernunftbasierte ethische Grundlage, eine Idee emotional intelligenter Menschen, die das Fundament eines glücklichen Zusammenlebens aller Wesen im universalen Mitleid sieht.
Die Gesellschaften der Menschheit haben allesamt starre ethische Strukturen, da die wenigsten Individuen emotionale Intelligenz besitzen. Den meisten Leuten werden ihre ethischen Grundwerte anerzogen und sie behalten sie ein Leben lang. Unsere ethischen Konstrukte sind erlerntes Regelwerk, keine Konsequenz überdachter Empfindungen. Diese traurige Tatsache kommt, da der Mensch auf unserem Planeten eine Vormachtstellung besitzt, auf grauenhafte Weise zur Geltung und wir spüren bereits die Konsequenzen unserer Taten.
Super Beitrag, Danke.
Löschen"Wo immer ein Tier in den Dienst des Menschen gezwungen wird, gehen die Leiden, die es erduldet, uns alle an." (Albert Schweitzer)
Sigmud freud hätte seine freude mit der veganismus/vegetarismus debatte - was da alles aufgebaut und angeführt wird - man könnte auf den gedanken verfallen, dass es hier gar nicht um tierleid, ethik oder ökologie geht - es könnte in den meisten fällen nur das (narzistische/begehrende/instinktatmende/......)
AntwortenLöschen'ich' sein, das sich zu beschreiben/erkennen sucht.
Jedes Jahr werden in Deutschland 12 Milliarden Tiere gegessen. Es gibt hierzulande etwa 6 Millionen Vegetarier. Wenn alle plötzlich wieder Fleisch essen würden... bliebe die Nachfrage gleich?
AntwortenLöschenhttp://albert-schweitzer-stiftung.de/aktuell/deutsche-essen-uber-12-milliarden-tiere-pro-jahr