“Es gibt keine Absurdität, die so handgreiflich wäre, daß man sie
nicht allen Menschen fest in den Kopf setzen könnte, wenn man nur schon
vor ihrem sechsten Jahre anfienge, sie ihnen einzuprägen, indem man
unablässig und mit feierlichstem Ernst sie ihnen vorsagte.” – Arthur
Schopenhauer
Etwas für moralisch vertretbar oder wahr zu
halten nur deswegen, weil es von einer Vielzahl von Menschen als
moralisch vertretbar oder wahr erachtet wird, scheint mir geradezu
wahnsinnig und wohl schlechthin der bedeutendste Irrglaube des
Menschseins zu sein; muss man sich doch vor Augen halten, dass andere
etwas vielleicht nur aus demselben Grund für vertretbar oder wahr
halten, und nicht etwa aus vernünftigen Gründen. Ich will stattdessen
mit ganzem Eifer den Fehler in allem suchen, das von der Allgemeinheit
kritiklos hingenommen wird. In jeder Selbstverständlichkeit mag sich ein
Vorurteil verstecken.
Man soll sich die Frage stellen, wie die
eigene Lebensweise durch die Augen eines Menschen betrachtet wird, der
in einer Gesellschaft mit anderen Werte aufwuchs. Recht schwer dürfte es
nicht fallen, sein Unverständnis für uns nachzuempfinden. Immerhin
bringen wir ihm dasselbe entgegen. Und dies ist die größte Barriere
zwischen Kulturen und Generationen, der Nährboden aller
Missverständnisse. Oft entfacht ein Streit darüber, wer mit der
Unvernunft, zu der man ihn erzogen hat, denn nun tatsächlich im Recht
ist.
Ein Mensch ist nicht reif, wenn er die Regeln seiner
Gesellschaft verstanden hat und ihnen entsprechend sein Leben
einrichtet.
Reife bedeutet vernünftige Selbstständigkeit im Denken und
Handeln. Ein reifer Mensch hinterfragt Werte, die scheinbar durch und
durch für gut gehalten werden. Ein reifer Mensch hinterfragt Gesetze.
Reife bedeutet, sich selbst alle Maßstäbe zu setzen und sich weder auf
Autoritäten zu beziehen noch irgendetwas durch ihre Gebote oder Verbote
zu rechtfertigen. Reife bedeutet Aufgeklärtheit nach Kant, bedeutet den
Mut, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen.
Wir alle sollten
uns bewusst sein, dass künftige Generationen an unserem derzeitigen Tun
und Handeln Unzähliges kritisieren werden, wohl auf dieselbe berechtigte
und vernünftige Weise, wie wir heute das unmoralische, stumpfsinnige
Kollektivbewusstsein früherer Generationen abstoßend finden. So denke
ich beispielsweise, dass die Verbrechen, die der Mensch heutzutage der
Natur und den Tieren antut, in naher oder ferner Zukunft nicht nur von
Individiuen, sondern von der Allgemeinheit als ebenso unvorstellbar
grauenhaft wie unverständlich empfunden werden. Und auch eine solche
Allgemeinheit wird sich gewiss in anderen ebenso bedeutenden Fragen auf
fatale Weise irren, denn Allgemeinheiten irren immer.
Autor
Markus Hittmeir veröffentlicht seine großartigen Texte via seines Blogs, sowie jene mit gesellschaftspolitischem Bezug auch auf der Plattform für Wirtschaft, Politik & Gesellschaft. Außerdem liest er immer wieder aus seiner ersten Publikation "Bessarius und Molle" bei diversen Veranstaltungen.
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