5. November 2012

Gedanken zur Situation der Sozialdemokraten in Österreich



Als jahrelanger engagierter Beobachter und Sympathisant der Sozialdemokratie Österreichs ist es mir knappe 11 Monate vor der nächsten Nationalratswahl und kurz nach dem Bundesparteitag der SPÖ ein Anliegen, einmal etwas zu den aktuellen Positionen und Personen der Sozialdemokratie zu schreiben. Auch weil diese “Bewegung” nach wie vor als noch größte Partei Österreichs und wichtigste Kraft links der Mitte so viel bewegen und gestalten könnte und müsste.




Aus meinem persönlichen Werdegang als Funktionär in Sektion und Hochschülerschaft kenne und schätze ich viele engagierte Menschen aus dieser “Bewegung” und auch das Innenleben dierser Vorfeldorganisation und der Partei ist mir also nicht ganz fremd.
Schon aus Gründen der Übersichtlichkeit will ich mich auf jene Politikgebiete beschränken, wo meine persönlichen Schwerpunkte und Expertise liegen und von denen ich denke, dass sie zu den Zukunftsfragen für die nächsten Jahren gehören. Die Reihenfolge spiegelt dabei Brisanz und Wichtigkeit wider.
Migration und Integration oder doch nur “Ausländerpolitik”
Absolut brennendes Thema seit Jahren ist die von der hetzenden, Xenophobie und Islamphobie schürenden FPÖ besetzte und für Angstmache u Demagogie ausgebeutete sogenannte “Ausländerpolitik”. In den Grundsätzen der Sozialdemokratie finden sich zwar die Begriffe “Gerechtigkeit” und “Solidarität”, diese Begriffe werden aber bei diesem Thema sträflich vernachlässigt und die Vision eines gelebten Multi-Kulti eher versteckt.
Die existierenden inhaltlich-programmatische Konzepte und Visionen und pragmatische Ideen und Vorschläge werden von einer SPÖ, die das Thema Integration lieber einem juvenil-unerfahrenen Staatssekretär der wirtschaftsgesteuerten ÖVP überlässt lieber konsequent totgeschwiegen.
Nicht umsonst aber engagieren sich hier die Grünen seit Jahren sehr viel deutlicher und nachhaltiger, haben sich den Ruf einer engagierten Menschenrechtspartei erarbeitet und binden so geschickt Menschen und AktivistInnen mit mutigen, gerechten Ideen und Positionen ein.
Wenn aber die SPÖ hier nicht bald aufwacht und nachhaltig das Thema für sich entdeckt, gewinnen endgültig Xenophobie, Islamphobie und Hetze der FPÖ dieses Thema und damit wohl auch die nächsten Wahlen, wird die Gesellschaft weiter gespalten und polarisiert. Den letzten Rest meines Respekts hätte sie damit ebenfalls verloren.
Bildungspolitik und freier Hochschulzugang
Bereits in meiner Zeit als Funktionär der HochschülerInnenschaft und Mitglied des [:vaust] unter einem roten Wissenschaftsminister war der freie Hochschulzugang genau das, was der Name sagte, die Möglichkeit die Universitäten ohne Gebühren zu betreten. Freie (Aus-)Bildung fand aber nie statt, spätestens mit Entwicklung der Massenuniversitäten wurden durch die lückenhafte, sehr mangelhafte budgetäre Situation der Universitäten jungen Menschen durch überlange Studienzeiten infolge mangelnder Ressourcen und dem Zwang neben dem Studium zu arbeiten wertvolle Jahre wirklich geraubt.
Dass Bildung und gute Ausbildung nach wie vor eine Frage der Herkunft und der Finanzen ist, ist Schuld auch der Sozialdemokratie. Dass der freie Hochschulzugang nun auf Universitätsebene abgeschafft und Zugangsbeschränkungen sogar in Zukunftsstudien wie Informatik und Medizin eingeführt werden ist eine Bankrotterklärung der SPÖ u ihrer Bildungspolitik. Die absolute Uneinigkeit in der Partei mit Querschüssen aus einigen Bundesländern geben ein sehr schlechtes Bild ab, Wissenschaftsminister Töchterle hat so ein leichtes Spiel und kann sich mit seinem Mogelpaket “Universitäts-Milliarde” sogar zu unrecht profilieren.
Wenn die Sozialdemokratie nicht ihre Grundwerte “Solidarität” und “Gerechtigkeit” verspielen und Chancengleichheit begraben will MUSS sie in diesem Bereich umdenken, ideell und personell aufrüsten und das Thema zu einem zentralen Anliegen machen.
Denn bei Bildungschancen geht es um nichts weniger als um die Zukunft unserer Jugend. Wieviel mit Hartnäckigkeit u Konsequenz, Ideenreichtum letztlich sogar gegen eine blockierende, bremsende ÖVP erreicht werden kann hat BM Schmied mit der Neuen Mittelschule u Gesamtschule gut bewiesen.
Europapolitik und Schuldenkrise
Mit Hannes Swoboda verfügt die Sozialdemokratie Europas über einen exzellenten, pointierten und fachlich sehr versierten Politiker, der aus Österreich stammt und dessen Kompetenz und Kommunikationsstärke hier massiv gebraucht würde. Die Glaubwürdigkeit des lokalen Spitzenrepräsentanten für Österreich, Bundeskanzler Faymann dagegen ist nicht erst seit dem Lavieren in der Schuldenkrise und der Weigerung eine Volksabstimmung über den ESM abzuhalten auch in Europafragen massiv beschädigt.
Formal mag der Brief in der KRONE von Faymann ihn nicht zu einer Volksabstimmung zwingen, faktisch versteht kein Mensch warum sie nicht stattgefunden hat bei derart gravierenden Änderungen.
Weder versteht es die Sozialdemokratie letztlich die Hilfen für Griechenland und andere EU-Staaten mit ihren Grundsätzen “Solidarität” und “Gerechtigkeit” in Verbindung zu bringen, noch ist sie eine wirklich starke Stimme für ein Soziales Europa.
Wehrpflicht und Bundesheer
Nun sind 180° Kehrtwenden weder in der Politik noch im Militärischen immer verkehrt, solange sie nachhaltig, geschlossen und konsequent durchgeführt werden. Hungerte die SPÖ bzw ihr Minister das Bundesheer bisher bis zur Besinnungslosigkeit aus und meinte Gusenbauer bezeichnenderweise bei der Nennung des Zivildieners Darabos zynisch “Norbert Du hast das schwerste Los Deines Lebens gezogen” so erkannte mit der Volksabstimmung die SPÖ zumindest, dass die Bevölkerung endlich Reformen in diesem Bereich will, den Status Quo Keiner gut findet.
Die Position der SPÖ hin zu einem Berufsheer ist modern, pragmatisch und richtig. Wenn aber Begleitkonzepte zu Lösungen für den wichtigen Zivildienst und Katastrophenschutz fehlen dann sind das offene Flanken, durch die GegnerInnen leicht einfallen können.
Daß Darabos anders als dereinst der fachlich völlig unterlegene KHG im Finanzministerium durch seinen Krieg mit General Entacher auch das gesamte Ministerium gegen sich hat macht die Umsetzung der Reformen letztlich aber auch nicht leichter, egal wie die Volksbefragung ausgeht.
Verteilungsgerechtigkeit und Steuerpolitik
Dass aus der Not geboren nun eine Umverteilungsdebatte ohne klares Gesamtkonzept für eine Steuerreform vom Zaum gebrochen wird macht leider die an sich guten, gerechten und überfälligen Ansätze dazu angreifbar, die ÖVP spricht nicht umsonst bereits genüsslich von einer “Neiddebatte”. Hier muss auf eine globale Debatte zur Verteilungsgerechtigkeit bestanden werden, aber es ist abzusehen dass diese so leider nicht gut stattfinden wird.
Dass die Finanztransaktionssteuer nun als großer Wurf verkauft werden muss, während vor etlichen Jahren die sehr ähnliche Börsenumsatzsteuer still zu Grabe getragen wurde ist bezeichnend für den Zustand der Diskussion.
Eine vollständige Debatte kommt aber ohne Diskussionen über faire Verteilung schon bei Lohnabschlüssen – nachdem die Reallöhne seit Jahren sinken – und eine deutlich höhere Besteuerung von Kapitalvermögen nicht aus, aber dazu fehlt es der Sozialdemokratie an Mumm und Entscheidungs- und Gestaltungswillen.

Politisches Personal der SPÖ
Die SPÖ hat mit Klima bereits einmal bewiesen, dass sie ein grosses Talent hat, “Kanzlerdarsteller” auszuwählen die im Amt jede Bodenhaftung verlieren und auch durch Spin-Doctoren jede Authentizität einbüssen. Nicht erst seit der Weigerung vor den U-Ausschuss zu treten hat Bundeskanzler Faymann zu Recht den Beinamen Faygmann mehr als verdient. Auch beim Kauf von Facebook-FreundInnen und weiteren Schnitzern in der Kommunikation hat er Abgehobenheit, Bürgerferne und Arroganz bewiesen und immer mehr an Glaubwürdigkeit verloren.
Aus dem sozialdemokratischen Pragmatiker und Reformer ist ein Failmann geworden ohne Glaubwürdigkeit, Konzepte und Lösungskompetenz. Genauso wie die Sozialdemokratie besser nicht mit einem derart kaputten und verbrauchten Kanzlerdarsteller zur Wahl antreten sollte ist die SPÖ gut beraten, sich von ihrer ewig zu jungen, inhaltlich leichtgewichtigen und an Frau Fuhrmann erinnernden Laura Rudas zu trennen und damit ein Ende unter die Ära Rudas II zu setzen, nicht zufällig fiel in die Ära Rudas I der Absturz des Viktor Klima.
Mit BM Gaby Heinisch-Hossek wäre eine kompetente, eloquente, pragmatische Frau in den Startlöchern, in der Sozialdemokratie eine noch stärkere Rolle zu spielen, die Zeit für die erste Frau an der Spitze ist überreif.
Genauso sind Frau BM Schmied oder Staatssekretär Schieder Zukunftshoffnungen für eine auch personelle Erneuerung der Partei sind, während MEP Hannes Swoboda wohl weiterhin in Brüssel sehr kompetent und erfolgreich Europapolitik machen wird.
Wenn nun das SPÖ-Urgestein und Funktionär der vorletzten Generation Karl Blecha, seines Zeichens vorbestrafter Ex-Minister und Teil des Muppetshow-Senioren-Duos Khol/Blecha ein “Zukunftsprogramm” der Partei schreiben soll und Leute wie NR-Abg.

Pendl im U-Ausschuss ans Ruder kommen sagt das fast alles über die Rückwärtsgewandtheit und Zentrierung der Seniorenpartei SPÖ auf ihre überalterten Kernwähler aus. Wenn die SPÖ sich nicht in “Sozialdemokratische Pensionisten Österreichs” umbennen will muss sie auch massiv junge Kräfte wie die “Sektion 8″, Andreas Babler, Wolfgang Moitzi, Jessica Müller und Andere, etwa progressive und offene Landesparteiobmänner wie Michael Ritsch und kritische Geister wie Sonja Ablinger, vor allem aber echte Politik-Profis wie einen Hannes Swoboda hier massivst einbinden.

Sozialdemokratie und Neue Medien
Auf breiter Front versagt hat bis auf rühmliche Ausnahmen wie Michael Ritsch, Hannes Swoboda und Sonja Ablinger leider die Sozialdemokratie gerade beim Thema Neue Medien und im Bereich Social Media.
Wenn hier nicht ein massives Umdenken, ein Aufholprozess und Zugehen auf die BürgerInnen und Netizens stattfindet werden nicht nur die Jüngeren immer schwerer ansprechbar sein, wird die Sozialdemokratie dieses Zukunftsthema und -medium total verlieren und damit auch den Zugang zu direkterer Demokratie und BürgerInnen.
Die Social Media sind heutzutage nicht mehr wegzudenken, wer Antworten für die Zukunft haben und geben will muss auch die Fragen unserer Zeit hören, nur diese werden vermehrt nur mehr im Internet, auf Facebook und auf Twitter gestellt und diskutiert, junge neue Parteien wie NEOS u Die Piraten aber sogar Senioren-Politiker wie Stronach machen es vor.
Fazit und Schlußfolgerung
Will die Sozialdemokratie und die SPÖ für progressive WählerInnen des linken Spektrums wie mich wieder wählbar werden muss sie sich den oben skizzierten brennenden Themen der Zeit neu und anders stellen, sich personell, thematisch und ideell neu aufstellen und umgehend die Social Media zurückerobern und die Kommunikation mit den Menschen revolutionieren.
Im Sinne progressiverer, solidarischer und gerechterer Politik – Freundschaft.

Autor
Martin Borger beibtreibt eine Homepage, twittert laufend die neuesten News und pflegt das "Netzwerk gegen Rechts". Dankenswerterweise veröffentlicht er immer wieder Texte auf der Plattform.

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