5. Juni 2013

Das Konzept der staatlichen Souveränität unter Druck

Seit Beginn der Wirtschaftskrise, verzichtete paradoxerweise die Europäische Kommission auf ihre formell und institutionell vorgesehene Eigenständigkeit, und formte stattdessen einen besonders missklingenden Chor unter deutscher Direktion. Der Kanon der Irrtümer war in diesem Falle missklingender als sonst. Das verharren auf deutsche Positionen brachte als Resultat, nur drakonische Sparmassnahmen hervor, die fast wie ein Strafakt den verschuldeten Ländern der Eurozone in Form einer einheitlich verabreichten Therapie auferlegt wurden. In einer für europäischen Verhältnisse einzigartigen Weise, kollidierten nunmehr im Rahmen der Krisenverwaltung , die Notwendigkeiten und Erfordernisse der Wirtschaft mit den Vorstellungen und Ideen der Demokratie, ungewöhnlich hart aufeinander. Tatsächlich diktierte die Wirtschaftskrise, Navigationsregeln die auf die Wiederherstellung der Geldwertstabilität ausgerichtet waren, zu Lasten allerdings demokratischer Werte. Demzufolge, zog eine neue Welt, eine andere Ära nach Europa ein. 

Gleichwohl sind die politischen Führer Europas zwar in der Lage, diese Entwicklungen, nachzuvollziehen, können allerdings deren Folgen nicht exakt einkalkulieren. Dementsprechend, verwenden sie nach wie vor, die EU-Institutionen zur Befriedigung enger nationaler Interessen. Basierend auf einem Prinzip des geografischen Determinismus, ala Montesquie. erklärten sich zwar die nördlichen Länder der Eurozone bereit, den südlichen Ländern aus ihren Misszustand herauszuhelfen. 


Allerdings nur unter der Bedingung, daβ letztere von Grund auf, ihre «sündige» und «zügellose» Lebensweise ändern. Aller europäischen Tradition der Aufklärung zum Trotz, wurde von den verschuldeten Ländern Südeuropas, praktisch die Katharsis , sprich die Reinigung von vergangenen Sünden abverlangt und noch dazu die entsprechende Sühne und Buβe. Nicht zuletzt die nötige Besänftigung. All dies fundiert, auf die geheiligten Prinzipien der lutherischen Ethik von Herrn Schäuble, die auf Schaffung von Schlichtheit, von Sparsamkeit und von pastorianischer Kontinenz Diese Form von Austerität wurde als universale Politik , zur Reduzierung der Schuldenlasten der einzelner Mitgliedstaaten erklärt. 

Die verschuldeten Länder ihrerseits blieben dabei nicht ganz schuldfrei. Zunächst nickten sie jeder angebotenen Hilfe zu, unabhängig von den damit verbundenen Konzessionen und Sanktionen. Im Anschluss daran, kultivierten sie mehr eine Nostalgie der Wiederherstellung von Vollbeschäftigung mit undefinierten Referenzen auf ein Wachstum das stets kommen soll, aber tatsächlich nie ankommt, weil die Wirtschaft unter einem massiven Mangel an Nachfrage leidet. Insgesamt scheint es in diesem Fall als würden die politischen Führer wie Ökonomen auftreten die auf jeden Fall die Preise der Dinge kennen, aber ihren tatsächlichen Wert ignorieren, vor allem den Wert eines vereinten Europa. Erst mit dem Ausbruch der Krise, und dem Erscheinen der Reichweite des Verschuldungsproblems dem die Länder des Südens ausgesetzt sind, setze sich notwendigerweise die Einsicht durch, einen Teil der Schuldenlast an die nördlichen Länder zu verlagern um die Zukunft des Euro zu sichern. Dies geschah jedoch, ohne die notwendige Vorbereitung. 

Die notwendigen Kontrollmechanismen bestanden nicht um die südlichen Partnerländer einem effektiven Monitoring zu unterstellen. Mit dem Stabilitätspakt für die Steuerung der Haushaltsdefizite und den unerschütterlichen Forderungen nach radikalen Reformen der Volkswirtschaften seitens der EZB, überschritten die Technokraten der EU, bereits bewährten Grenzen und stellten somit das gesamte Konzept der nationalen Souveränität in Frage. Gehälter, Renten, Sozialleistungen, Steuern, Arbeitsmarkt, Gesundheit und Bildung, Ausgaben des öffentlichen Sektors, Anzahl des Beamtentums etc. Alles wird neu auf dem Verhandlungstisch gestellt und muss von nun an, unter der strengen Kontrolle von Technokraten obliegen. Sozialpolitik, soziale Gerechtigkeit und Wohlfahrtsstaat , stellen keineswegs mehr gegebene und unumstrittene Tatsachen dar. Vielmehr sollen alle sozialen Institutionen noch einmal überdacht werden. Der Wohlfahrtsstaat scheint für die derzeitigen Machthaber Europas an eine Zeit der Verschwendung und Schande zu erinnern und wird deshalb einer Komplettsanierung ausgesetzt. Als Buβe und Strafe für all die Exzesse der Vergangenheit. Teilweise realisieren die Technokraten ihre Intervention als moralische Ermahnung, als Belehrung, fast als Indoktrination des sündenfreien Handelns, um einen einwandfreien Betrieb des öffentlichen und privaten Sektors herzustellen. 

Dem zu trotz, waren jedoch, die übereiligen und somit gedankenlos implementierten Zwangsmaßnahmen nicht nur wirkungslos, sondern sie haben im Wesentlichen die Funktion einer willkürlichen Macht legitimiert. Es wurde faktisch der verbriefte demokratische Besitzstand der europäischen Institutionen auβer Kraft gesetzt. Demzufolge hat sich nun der Glaube etabliert daβ die europäische Idee unter einem demokratischen Defizit leidet. Die entscheidenden Institutionen, müssen gegenüber niemandem Rechenschaft ablegen, wie es im Gegenteil mit gewählten Regierungen der Fall ist. Noch vor einiger Zeit, förderte und überwachte die EU noch die Schaffung eines einheitlichen Marktes indem sie Techniken und Regeln diktierte. Die Mitgliedstaaten passten die angegebenen Richtlinien national an und überwachten ihre Umsetzung. Mit anderen Worten, die Politik der Gemeinschaft war in Einklang mit den Interessen der Staaten und oft war sie sogar das Grundthema bei nationalen Wahlen. 

 Mit dem Ausbruch der Krise, versuchten einige Staaten des Nordens, vorrangig Deutschland, die Europäische Kommission in einen Organismus der Umstrukturierung problematischer Produktivmodelle und Volkswirtschaften umzuwandeln. Bis zu einem gewissen Grade gelang es ihnen auch. Die EU scheint seitdem, als eine sonderbare Form eines europäischen Währungsfonds zu funktionieren. Nationale politische Maßnahmen sind nunmehr Inhaltsleer. Umso mehr die jeweiligen Regierungen die von nun an nur noch Politik anwenden aber nicht mehr produzieren. Alternative Vorschläge gibt es nicht. Die Abwechslung von Regierungen stellt nur noch ein typisches Schaltverfahren dar, indem lediglich die Personen alterieren um die gleiche und unveränderliche Politik anzuwenden. Zur gleichen Zeit, scheint diese politische Korrektur- Logik paradoxerweise auch die Völker des Nordens zum Opfer umzuwandeln. Letztere werden nicht etwa belohnt für ihre äuβerst effiziente Produktionsweise und ihr rationales Konsumverhalten. sondern sie haben die Hauptlast für der Rettung der Süden zu tragen. Das Ergebnis auf der institutionellen Ebene und nicht auf der finanziellen ist das gleiche. 

Die Völker des Nordens können nicht die dominierende Politik bestimmen und liefern somit auch ein Stück ihrer Souveränität ab. Wenn nun Souveränität definiert wird als die Fähigkeit der Völker entscheidend ihre Zukunft zu bestimmen, dann haben sich alle europäischen Nationen zum großen Teil losgesagt vom Konzept der politischen Souveränität, im Namen der Finanzstabilität die ihrerseits die Kontrolle und die Ausformung der Produktionsmodelle anfordert. Universeller formuliert, verlangt die Verbreitung und Entwicklung des Marktkapitalismus und des ungehemmten Bankkapitals zunächst nach Souveränität. Der ungehemmte Kapitalismus gebraucht die Souveränität in ihrer staatlichen Form um sich zu etablieren und zu entfalten. Nun aber ist es an der Zeit die staatliche Souveränität einzudämmen um die eigene Macht weiter zu erhöhen. Das Finanzkapital eignet sich folglich einen Teil der staatlichen Souveränität an um t sich letztendlich von den nationalen Herrschaftsregeln zu befreien. 

Der Markt diktiert somit die Machtverhältnisse in der Ausübung der politischen Macht. Um die Grundlagen zu ebnen, für eine politische Einheit, eine europäische Republik, sollte jedoch Europa weniger den Belangen der Märkte folgen und mehr den Weg für die europäische Freiheit öffnen. Dies bedeutet unter anderem, daβ die Wirtschaft unter einem Regelungsrahmen gestellt werden sollte , der den Werten des europäischen Kosmopolitismus gehorcht. Wenn der institutionelle Aufbau des politischen Konstruktes “Europa“ den Anforderungen der Märkte erliegt, dann bleiben die vorhandenen Größen erhalten und die politische Steuerung erhält eine manipulierte, oligarchische Form. Logischerweise geht dann aber der Wert des Menschen als politisch freies Wesen verloren.

Autor
Herzlichen Dank an den Autor, Dimitris Kotroyannos, der diesen beeindruckenden Text verfasst hat und beruflich als Professor für Politische Philosophie und Politikwissenschaft an der Fakultät für Politikwissenschaft, Universität Kreta, tätig ist. 

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